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Druidenstein, 1932 von Karl Pusch


Ein verschollenes Gedicht auf einer 90 Jahre alten Postkarte wiederentdeckt

Ich fand diese Postkarte vor einigen Jahren auf einem Flohmarkt. Als ich das Wort „Druidenstein“ entziffert hatte, habe ich sie gekauft. Erste Nachforschungen zeigen mir, dass das Gedicht offenbar nirgendwo bekannt ist, aber vielleicht meldet sich ja noch jemand?


Und natürlich möchte man gerne wissen, wer der Dichter Dr. Karl Pusch und der Chordirigent Karl Großkurth waren. Und wer war die Person mit den Namens-Abkürzungen I. K. bzw. Kl., für die es 1932 eine große Gedenkveranstaltung gab, wie es der Karte zu entnehmen ist?


Aber jetzt erst einmal das Gedicht, dann der komplette Text der Karte und schliesslich ein paar Gedanken dazu.

Druidenstein, von Karl Pusch

Was flackert am Druidenstein?

Wen führen sie gar nachts hinein?

Den Jüngling aus der Römerschaar.

Wie lockig wellt sein goldblond Haar.

Durch Bergschlucht rollt, durch Tal und Ried

als Donner dunkles Opferlied:

Heil dem Siege der Sigambrer!


Zum Opfer als der Gottheit Lohn,

gefangen bringt man Herkas Sohn,

den man der Priestrin einst geraubt,

als sie ihn wohl verwahrt geglaubt.

Drei Schritt noch gibt der Tod ihm Raum,

schon streift er seines Lebens Saum!

Heil dem Ruhme der Sigambrer!

Der Sehnsuchtsqual scheint nun genug,

die lang voll Leid sie mit sich trug.

Sie darf den Sohn noch einmal sehen,

um dann mit ihm zu Grund zu gehen.

Ihr eigen doppelt schwer Geschick

antwort der todgeweihte Blick.

Weh dem Hasse der Sigambrer!


Dass sie der Opfer Pflicht bezwingt,

sie übermenschlich mit sich ringt.

Sie drückt des Sohnes kalte Hand,

ein Ruck! Entzwei sein fesselnd Band.

Dann ruft Lebwohl sie allem Harm,

am Abgrund mit dem Sohn im Arm.

Weh dem Stolze der Sigambrer!

Die ganze Postkarte

Text im Adressfeld

Empfänger ist Karl Großkurth, Chordirigent.

Die ursprüngliche Adresse (Kanalstr. 8, Fulda) wurde überklebt und abgeändert auf

Hotel «Deutsches Haus», Betzdorf a. d. Sieg.

Angemerkt ist eilt! s. H.


Text Vorderseite

L. H. Gr. [Lieber Herr Großkurth] Setzen Sie zu I. K.s Gedächtnis. Zur Vertonung

Statt „Herka“ schrieb ich Ihnen umseitiges Poëm, worin ich

die wesentliche, Stimmung gebende Opferhandlung con-

zentrirte zum Vorteil für Chorballade. Keßler, Ebling

u. Eulenberg sind bereit, Sie event. in Verlag zu nehmen.

Beachten Sie gegenüber „Herka“ die dramatische

Steigerung. Es wird in dieser Form ein Chor werden,

der Ihrem Namen Ehre macht. Nun suchen Sie mög-

lichst volksgemäße Motive zu finden. Existieren

keine Volkslieder vom D. [Druidenstein] Bewußt komm ich bei

Verherrlichung des D. [Druidensteins] wieder illustrativ wieder auf den

Sprung in die Tiefe zurück. Erbitte Belege der Aufgabe-

chöre in Festbuch. Wollen Sie mir Porträt Kls. schon [?] für

das Festbuch u. event. Festgruß über des deutschen

Landes Sendung, oder lokal, dann müsste ich An-

haltspunkte über den Festort, s. Lieder [?] s. Geschichte etc

haben. Mit frd. Gruss von Haus zu Haus Ihr Dr. Pusch


Text Rückseite

Druidenstein. Worte von Dr. Karl Pusch

Was flackert am Druidenstein?

Wen führen sie gar nachts hinein?                                                  / I. mehr erzählend

Den Jüngling aus der Römerschaar.

Wie lockig wellt sein goldblond Haar.

Durch Bergschlucht rollt, durch Tal und Ried

als Donner dunkles Opferlied:                                                          / I. a. aufschwingend

Heil dem Siege der Sigambrer! (Kehrreim!)

Zum Opfer als der Gottheit Lohn,

gefangen bringt man Herkas Sohn,                                                 / II. mehr erzählend

den man der Priestrin einst geraubt,

als sie ihn wohl verwahrt geglaubt.

Drei Schritt noch gibt der Tod ihm Raum,

schon streift er seines Lebens Saum!                                              / II. a. aufschwingend

Heil dem Ruhme der Sigambrer!

Der Sehnsuchtsqual scheint nun genug,

die lang voll Leid mit sie ertrug. [besser: sie mit sich trug??]

Sie darf den Sohn noch einmal sehen,

um dann mit ihm zu Grund zu gehen.                                              / III. steigernd

Ihr eigen doppelt schwer Geschick

antwort der todgeweihte Blick.

Weh dem Hasse der Sigambrer!

Dass sie der Opfer Pflicht bezwingt,

sie übermenschlich mit sich ringt.                                                     / IV. wuchtig

Sie drückt des Sohnes kalte Hand,

ein Ruck! Entzwei sein fesselnd Band.

Dann ruft Lebwohl sie allem Harm,

am Abgrund mit dem Sohn im Arm.                                                  / IV. b. maestoso [majestätisch]

Weh dem Stolze der Sigambrer!

Versuchen Sie Ihr Glück.

Gedanken zum Text

Dr. Karl Pusch, offenbar ein Dichter, schickt 1932 dem Chordirigenten Karl Großkurth ein von ihm verfasstes Gedicht über den Druidenstein mit der Bitte, einen Chorgesang daraus zu machen. Die Postkarte enthält den Vermerk „eilt“, offenbar weil der Chorgesang anlässlich des Gedenktags für eine Person erstmals vorgetragen werden sollte, die mit I. K. bzw. Kl. bezeichnet wird.


In dem Gedicht wird eine Version der bekannten Herka-Sage (oder Herke-Sage) in Reime gefasst.

In der Herka-Sage ist Herka eine keltische Schönheit, die allem Weltlichen entsagt, um Priesterin des Druidenstein-Heiligtums zu werden. Dort führt sie die feierlichen Zeremonien, Heilungen und Opfer durch. Doch sie ist jung, verliebt sich in einen keltischen Jüngling und gibt sich ihm hin. Für diesen Bruch ihres Unschulds-Gelübdes kennen die Kelten nur die Todesstrafe, und so wird sie selbst am Druidenstein den Göttern geopfert.


Der Dichter Karl Pusch hat die Sage in diesem Poem insoweit abgeändert, als die Priesterin Herka gemeinsam mit ihrem „goldblonden Sohn aus der Römerschaar“ am Druidenstein geopfert wird.

Zum einen ist es bemerkenswert, dass Herkas Sohn goldblonde Haare hat, ganz sicher ein Zeichen für seine germanische Abstammung. In der nationalistischen Zeit um die 1930er Jahre wurde also aus der Keltensage eine germanische. 


Zum anderen bleibt offen, wie es zu dem Sohn der Priesterin kommt. Hat sie ihn mit einem Römer gezeugt? Oder ist sein Vater ein Germane gewesen? Jedenfalls muss sie ihn heimlich zur Welt gebracht und „wohl verwahrt“ haben, bis er ihr „einst geraubt“ wurde. Jetzt jedenfalls werden beide den germanischen Göttern geopfert.


Das Gedicht scheint nirgendwo bekannt zu sein, wurde also offenbar auch nie vertont. Immerhin hat Karl Großkurth die Postkarte nicht weggeworfen, sondern gelocht und abgeheftet, so dass sie nicht verloren ging. Vielleicht will ja heute jemand das Vertonen nachholen, auch wenn das Poem nach 90 Jahren etwas „aus der Zeit gefallen“ ist?


Matthias Heidrich, 24.10.2022

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